aus: Archäologie in Niedersachsen 2, 1999, 124-126

Der Backstein und das Schiff

 

von Rolf Bärenfänger und Detlev Ellmers

Zu den alten Dörfern auf der ostfriesischen Geest gehört Brinkum, eine kleine Gemeinde im Landkreis Leer. In seiner flachen, nur unmerklich zu den Niederungen hin abfallenden Ackerflur läßt sich die Anwesenheit von Menschen schon für vorgeschichtliche Epochen durch archäologische Funde belegen. Weil die Römische Kaiser- und die Völkerwanderungszeit allerdings noch nicht faßbar sind, scheint die Geschichte des heutigen Ortes im frühen Mittelalter begonnen zu haben. Etwa 1906 haben Bauern am nördlichen Dorfrand beim Abfahren von Sand ein Gräberfeld zerstört, die wenigen Gefäße, die von dort in das Landesmuseum Hannover gelangten, datieren in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts, sie repräsentie­ren aber nur einen kleinen Ausschnitt des ehemals reichen Fundspektrums. 300 m weiter südlich wurde 1948/49 ebenfalls Sand gewonnen, dabei konnten Spuren dreier Grubenhäuser als Hinweise auf die Siedlung dieser Zeit notdürftig beobachtet werden. Anläßlich der Anlage eines Grabens gelang es der Ostfriesischen Landschaft 1994 in 200 m Entfernung zu dem Gräberfeld eine Wasserschöpfstelle freizulegen. Sie barg im unteren Teil einige Hölzer von Eichenbäumen, die nach dendrochronologischer Untersuchung in der Zeit um 800 gefällt worden sind.

Diese Angaben zur frühmittelalterlichen Topographie sind zwar spärlich, Brinkum verfügt damit indes über Informationen zu seiner frühen Geschichte, die manch andere Orte nicht aufzuweisen haben. Besonders interessant und künftiger Untersuchungen wert ist dabei die Frage, weshalb Brinkum augenscheinlich kirchlos geblieben ist. Mit archäologisch vergleichbarem Hintergrund ausgestattete Siedlungen in Ostfriesland haben in der Kegel spätestens im 11. Jahrhundert einen Kirchplatz mit Friedhof ausgebildet, hölzerne Gotteshäuser, denen im 13. Jahrhundert Backsteinbauten gefolgt sind. In Brinkum weist die Kirchstraße den Weg in das benachbarte Holtland, das als zuständiges Kirchspiel herangezogen werden muß. Bemerkenswert ist jedoch die Tatsache, daß hier wie dort eine Burgstelle nachweisbar ist, wobei die Alte Burg in Brinkum als weltliches Gewicht schwerlich ohne sakrales Pendant denkbar ist. Der Burgplatz ist heute ein an drei Seiten von verflachten Gräben umgebenes erhöhtes Gelände von etwa 80 x 80 m Größe. Nur einige Backsteinbrocken sind von dort als Oberflächenfunde bekannt, nähere Untersuchungen haben an dem Denkmal noch nicht stattgefunden.

In der Kirchstraße in Brinkum ist am Ende des Zweiten Weltkrieges ein Haus durch Beschuß in Brand geraten und zerstört worden. Es war ein kleineres Gulfhaus aus Backsteinen, wie es in den ostfriesischen Orten typisch für Arbeiter mit Nebenerwerbslandwirtschaft gewesen ist. Im Vorwege der Erstellung eines Neubaus wurde 1949 damit begonnen, die Reste des alten Hauses abzuräumen. Dabei wurden im Fundament, das in einfacher Weise dem gewachsenen Sandboden aufgesetzt war, einige mittelalterliche, hier zweitverwendete Klosterformatziegel aufgefunden. Zwei der damals beiseite gelegten Steine wurden 1998, also fast fünfzig Jahre nach der Entdeckung, vom Finder der Ostfriesischen Landschaft überlassen. Sie können hier erstmalig präsentiert werden. Der eine davon ist ein Backstein von 29 x 13,5 x 9 cm Größe, er weist Bearbeitungsspuren oder Beschädigungen auf; der andere ist in wesentlich besserem Zustand, er mißt 30,5 x 15 x 8,3 bzw. 7,8 cm. Dieser Stein zeigt an einer Stirnseite Mörtelanhaftungen, dabei handelt es sich allerdings um Zementmörtel, der im Zuge der Sekundärverwendung aufgetragen worden sein muß, denn im Mittelalter ist allein Muschelkalkmörtel bekannt gewesen. Das Besondere an diesem Backstein ist die flächenhafte, vor dem Brand in den feuchten Ton eingeschnittene Schiffsdarstellung, die das Fundstück als völlig singulär im norddeutschen Raum erscheinen läßt.

Während sich aufgrund des Formates des Backsteines eine Datierung in das 14. oder 15. Jahrhundert vorschlagen läßt, ergeben sich aus schiffstypologischer Sicht genauere Anhaltspunkte: Der Schiffstyp ist mit großer Sicherheit als Holk zu bestimmen, denn die dafür charakteristische Bananenform ist deutlich genug wiedergegeben. Die aus zahlreichen, relativ kurzen Planken zusammengefügte Außenhaut ist auch auf dem englischen Stadtsiegel von New Shoreham (1295) gut zu erkennen, das laut Siegelinschrift einen Holk abbildet (Abb.). Die Stadt trug im Mittelalter den Namen Hulcesmouth und die Inschrift weist auf den namengebenden Schiffstyp hin.

       Stadtsiegel von New Shoreham mit Holk (n. Ewe 1972)

Der Holk war im frühen und hohen Mittelalter der wichtigste Handelsschiffstyp zwischen England und dem Kontinent und wurde in dieser Zeit nur westlich des heutigen Ijsselmeeres gebaut. Weiter östlich schloß sich das Hauptverbreitungsgebiet der Kogge an. Erst kurz vor 1400 begann der Holk, die Kogge entlang der südlichen Küsten von Nord- und Ostsee aus dem Verkehr zu drängen, wobei in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Ausstattung mit drei Masten üblich wurde. Am Ende des 15. Jahrhunderts wurde der Holk seinerseits von karweelgebauten Dreimastern langsam wieder verdrängt. In Ostfriesland läßt sich deshalb die Darstellung eines einmastigen Holk am ehesten in die ersten drei Quartale des 15. Jahrhunderts datieren.

Soweit wir sehen, sind Schiffsdarstellungen, die vor dem Brand in Backsteine eingeritzt worden sind, bisher nur in drei Exemplaren aus Dänemark bekannt. Die Darstellung eines skandinavisch klinkergebauten Schiffes blieb zusammen mit einer Runeninschrift auf einem Backstein in der Kirche von Vejby, Vendsyssel, erhalten, es entstammt anscheinend der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die beiden anderen wurden in Helsingör, Seeland, im Kloster Unser Lieben Frau (Vor Frue kloster) gefunden und zeigen eine dreimastige Karacke bzw. einen Viermaster, also Schiffstypen, die jünger als der Holk auf dem Stein von Brinkum sind. Aussagen über den primären Verwendungszweck des Steines lassen sich hingegen nur schwerlich tref­fen. Festzustehen scheint, daß er wohl nie allseitig vermauert gewesen ist, das Schiffsmotiv muß jederzeit sichtbar geblieben sein. Wenn die Darstellung nicht allein das Produkt profanen künstlerischen Ausdrucks gewesen ist, käme eine Funktion im devotionalen Bereich, etwa in der Art eines Fürbittsteines in einer Kirche in Frage. Ein solcher Nachweis wird, wie eingangs gezeigt, für Brinkum kaum zu führen sein. Wenn der Stein nicht von einem anderen Ort hierher gebracht worden ist, kann er wohl nur aus der Alten Burg stammen, die das einzige mittelalterliche Backsteinbauwerk des Dorfes gewesen sein dürfte. Unter Burg ist nach ostfriesischer Gepflogenheit ein wehrturmähnliches sog. Steinhaus zu verstehen, wie es örtliche Häuptlinge im fortschreitenden 14. und vorrangig im 15. Jahrhundert erbaut haben. Wie sich dies in Brinkum verhalten hat, etwa mit einer zum Steinhaus gehörigen kleinen Kapelle, kann allein durch Ausgrabungen geklärt werden, denn schriftliche Quellen existieren nicht.

Literatur:

Ellmers, D.: Frühmittelalterliche Handelsschiffahrt in Mittel- und Nordeuropa. Offa-Bücher 28, Neumünster 1972.

Ewe, H.: Schiffe auf Siegeln. Rostock 1972.